Mutschler Arzneimittelwirkungen (Mutschler/Geisslinger/Kroemer/Wenzel/Ruth 2013
Lehrbuch der Pharmakologie, der klinischen Pharmakologie und Toxikologie
10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2013
ISBN 987-3-8047-2898-1
Beim Internistenkongress in Wiesbaden vor einigen Jahren hatte ich diese kurze aber eindrucksvolle Begegnung. Den älteren Herrn mit der ledernen Aktentasche, der da gemessenen Schrittes das Foyer querte, kannte ich gut aus meiner Mainzer Zeit als Pharmaziestudent: Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Ernst Mutschler: eine Institution als Pharmakologe und Lehrbuchautor. Bei unserem Gespräch in Wiesbaden muss er im 80. Lebensjahr gestanden haben, war schon lange emeritiert als ehemaliger Direktor des Pharmakologischen Instituts für Naturwissenschaftler der Frankfurter Universität. Bei dem Schwätzchen am Rande des trubeligen Kongresses meinte Mutschler mit der größten Selbstverständlichkeit, er bilde sich hier weiter fort; denn: die neue Auflage seines Lehrbuchs „Arzneimittelweirkungen“ sei in der Überarbeitung. Sprach’s, entschuldigte sich und schritt zügig dem Vortragssaal zu.
Das Ergebnis, die neueste, die zehnte Auflage des „Mutschler: Arzneimittelwirkungen“ liegt jetzt vor mir. Für den Jubiläumsband haben sich Mutschler und eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen noch mal richtig ins Zeug gelegt. Es handelt sich um Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Gerd Geisslinger, Frankfurt, Prof. Dr. rer. nat. Heyo K. Kroemer, Göttingen, Dr. rer. Nat. Sabine Wenzel, Bad Soden am Taunus und Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil Peter Ruth, Tübingen. Der „Mutschler“ war noch nie ein „Herausgeber“-Lehrbuch, bei dem ein Dutzend Koryphäen je ihr Lieblingskapitel beisteuern. In diesem Lehrbuch wird das aktuelle Wissen zu Pharmakologie und Toxikologie von wenigen, fähigen Köpfen sortiert, aufgearbeitet und nach einheitlichem Muster in jene Form gegossen, die es zum Standardwerk gemacht hat. Das Konzept beinhaltet aber, dass namhafte Experten die Manuskripte kritisch durchsehen.
Zur bewährten Form gehört, der speziellen Pharmakologie einen allgemeinen Teil voranzustellen. Hier werden Pharmakokinetik und -dynamik, Neben- und Wechselwirkungen, Pharmakogenetik und Chronopharmakologie, Therapien wie Gen- und Stammzelltherapie und besondere Therapierichtungen wie die Phytotherapie abgearbeitet. Den Kapiteln des speziellen Teils von Nervensystem bis Kontrastmittel sind dann kurze Einführungen in die Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie der jeweiligen Organsysteme vorangestellt. So spielt sich Pharmakologie nicht im luftleeren mikroskopischen Raum ab, sondern wird fassbar. Zur Anschaulichkeit und Einprägsamkeit tragen auf den 1200 Seiten auch die 349 farbigen Abbildungen und Tabellen bei. Ein dritter Teil befasst sich wie gehabt mit Vergiftungen.
Neu ist, dass das Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie nun auch als ein solches für „Klinische Pharnakologie“ auftritt. Die umfangreiche Darstellung der Leitlinien, die Einordnung der besprochenen Wirkstoffe in diesen Rahmen und die Erläuterung ihres Stellenwerts auf dem Boden der evidenzbasierten Medizin dürften diese neue Zuordnung rechtfertigen.
Wie brachte man es fertig, trotz vieler neu aufgenommener Arzneistoffe den Umfang gegenüber der vorigen Auflage um 50 Seiten zu drücken? Nach Durchlesen eines der 22 speziellen Kapitel konnte ich kaum eine Kürzung feststellen, dafür aber Ergänzungen. Es heißt, sämtliche Kapitel wurden intensiv überarbeitet, nicht mehr relevantes konsequent gestrichen, und zusammenfassende Tabellen erstellt. Zum Beispiel findet sich am Ende eine Zusammenstellung von Substraten, Inhibitoren und Induktoren der wichtigsten Cytochrom-P450-Isoenzyme mit Potenzial für klinisch relevante Interaktionen. Die Senkung der Seitenzahl ist indes auch der Überarbeitung des Layouts geschuldet. Die Zeilen und Absätze rücken schlicht und ergreifend enger zusammen. Hier kneife ich unwillkürlich die Augen zusammen: Das Schriftbild wirkt im Vergleich zur lichten Vorgängerausgabe deutlich komprimiert, schon fast grenzwertig. Vielleicht folgt das dem Trend der digitalen Zeit, immer mehr Daten auf immer kleinerem Speicherraum zu verdichten.
Ich habe bei der praktischen Anwendung dieses Lehrbuchs schon in seinen früheren Ausgaben oft die Erfahrung gemacht, dass es hier gelingt, die Arzneimitteltherapie in ihren wesentlichen Aspekten zu erfassen und komplizierte Zusammenhänge knapp zu beschreiben; dennoch schien nie etwas zu fehlen, oder ins Oberflächliche zu abzugleiten. Der Mutschler ist und bleibt ein mustergültiges und praxisorientiertes Lehr- und Nachschlagewerk. Es kann nicht nur Studentinnen und Studenten pharmazeutischer, medizinischer und biologischer Disziplinen, sondern auch im Beruf stehenden Ärztern, Apothekern, Biologen und Chemikern uneingeschränkt empfohlen werden. -
Summa cum laude, Mutschler et al.!