Ralf Schlenger
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Birgit Matejka Werner Stingl Ralf Schlenger Dr. Ina Schicker Dr. Ulrich Scharmer

Tempo sticht Genauigkeit

Häufig wiederholte Antigentests helfen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen

Die ersten Antigenschnelltests auf Sars-CoV-2 zur Eigenanwendung sind zugelassen. Werden die Abstriche korrekt entnommen und der Test kor-
rekt durchgeführt, können hochinfektiöse Personen rasch identifiziert werden. Dass motivierte Laien sie auch in Eigenregie zuverlässig durchführen können, wurde mittlerweile in zwei Studien belegt. Die niedrigere Empfindlichkeit spielt bei regelmäßig wiederholtem Testen keine Rolle. All das eröffnet neue Chancen in der Pandemiebekämpfung. Ein Knackpunkt ist das notwendige eigenverantwortliche Handeln der Laien bei der Anwendung außerhalb von Testzentren.

Damit sich die in Antigen-Tests auf Sars-CoV-2 gesetzten Hoffnungen erfüllen, braucht es zunächst möglichst zuverlässige und benutzerfreundliche Testkits. Die ersten Sonderzulassungen von Sars-CoV-2-Testkits für die Anwendung durch Laien hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 24. Februar für Testkits für den nasalen Abstrich erteilt. Es handelt sich um beim BfArM gelistete, den Mindestkriterien entsprechende und vom Paul-Ehrlich-Institut bezüglich der Sensitivität evaluierte Tests, die schon eine CE-Kennzeichnung für professionelle Anwender besitzen, aber durch Ausstattung mit speziellen Tupfern für den Nasalabstrich und eine illustrierte Gebrauchsanweisung für die Anwendung durch Laien angepasst wurden. Nach Herstellerangaben weisen sie gute Werte für Sensitivität (>96%) und Spezifität (>99%) auf (s. Kasten).



 

Antigentests auf Sars-CoV-2 mit Sonderzulassung zur Eigenanwendung durch Laien /  Stand 6.3.2021 (https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Antigentests/_node.html)

Hersteller

Antragsteller

Testname

Sensitivität

Spezifität

Healgen Scientific LLC

Siemens Healthcare Diagnostics Products GmbH

CLINITEST Rapid COVID-19 Self-Test

97,3%

100%

Xiamen Boson Biotech Co., Ltd

Technomed Service GmbH

Rapid SARS-CoV-2 Antigen Test Card

96,5%

99%

Hangzhou Laihe Biotech Ltd., Co.

Lissner Qi GmbH

LYHER® Covid-19 Antigen Schnelltest (Nasal)

96,2%

99,7%

SD BIOSENSOR, INC.

MT Promedt Consulting GmbH

SARS-CoV-2 Rapid Antigen Test

96,5%

99,7%

AMEDA Labordiagnostik GmbH

AMEDA Labordiagnostik GmbH

AMP Rapid Test SARS-CoV-2 Ag

97,3%

100%

Beijing Hotgen Biotech Co., Ltd

Beijing Hotgen Biotech Co., Ltd

Coronavirus (2019-nCoV)-Antigentest

95,4%

99,1%

Aesku.Diagnostics GmbH & Co. KG

Aesku.Diagnostics GmbH & Co. KG

AESKU.RAPID SARS-CoV-2

96,0%

98,0%

Gretchenfrage Sensitivität

Immer wieder wird eine ausreichende Empfindlichkeit der Antigentests bezweifelt, da sie mangels Amplifikation nur bei hoher Viruslast anschlagen. Das Forschungsnetzwerk B-Fast weist auch darauf hin, dass Untersuchungen verschiedener Sars-CoV-2-Antigenschnelltests durch unabhängige universitäre Diagnostiklabore mancherorts eine deutlich unter der Testdeklaration liegende Leistungsfähigkeit gezeigt hatten, im Bereich von 45% bis 85% . Zweifelsohne besteht im Vergleich zu PCR-Tests eine größere Abhängigkeit der Aussagekraft von Antigenschnelltests von der Viruslast im Nasen-Rachenraum, und damit von einer korrekten Abstrich-Entnahme und ihrem Zeitpunkt vor oder nach Auftreten von Symptomen. Aber wie maßgeblich ist die limitierte Testempfindlichkeit überhaupt, wenn es um ein Screening auf Infektionen geht, wie es in der derzeitigen Pandemiesituation vorgesehen ist? Dass zu diesem Zweck die Regelmäßigkeit und die Schnelligkeit des Testens entscheidender sind als die Testsensitivität, haben begutachtete Modellierungsstudien von Harvard- und Yale-Autoren gezeigt.

Der PCR-Test erkennt das Virus…

Für M.J. Mina und Mitarbeiter von der Harvard School of Public Health, die weltweit einige der größten Pilotprojekte mit Lateral-Flow-Tests auswerten, ist der PCR-Test nicht der Goldstandard eines SARS-CoV-2-Tests, wenn es statt um Einzeldiagnostik um Effekte auf die öffentliche Gesundheit geht. „Testen, um die Verbreitung von Sars-CoV-2 zu bremsen, fragt nicht, ob jemand RNA von einer vergangenen Infektion in der Nase hat, sondern ob er oder sie heute infektiös ist", schreiben sie in einem Kommentar in The Lancet. Die Kritik an der angeblich zu geringen Empfindlichkeit der Antigentests kehren die Experten um, indem sie argumentieren, dass diese Assays im Sinne eines Screenings genau im richtigen Bereich anschlagen. Antigentests, so führen sie aus, sprechen auf Oberflächenproteine von Sars-CoV-2 an, was bedeute, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit biologisch aktive Viren in großer Menge vorliegen. Die untere Nachweisgrenze (limit of detection, LOD) betrage typischerweise ca. 105 Viruskopien/ml. Realtime-PCR-Tests weisen dank Nukleinsäure-Amplifikationtechnik (NAT) die RNA von Sars-CoV-2 mit einer um mindestens zwei Größenordnungen geringeren LOD von ungefähr 103 Kopien/ml nach. Aber: Was für die Detektion kleinster Mengen zum Vorteil gereicht, könne bei einem Screening auf Infektiosität in die Irre führen. Nämlich dann, wenn bei ct-Werten über 30 kleinste RNA-Mengen nachgewiesen werden, die längst zu klein für eine Transmission sind, etwa bei einer zurückliegenden Infektion, oder wenn irrelevante Nukleinsäure-Bruchstücke detektiert werden. In diesen Fällen würde der PCR-Test die Zahl infektiöser Menschen überschätzen.

… der Antigentest die Infektiosität

Die Sensitivität des Nachweises stellen die Harvard-Autoren in den Kontext der Infektionskinetik: Ansteckend bleiben die meisten Infizierten 4 bis 8 Tage nach Symptombeginn, mit einem Maximum an Tag 5. Danach nimmt die Infektiosität schnell ab. Bei asymptomatisch Infizierten geht man davon aus, dass die Viruslast initial genauso hoch ist, aber rascher abnimmt. Entscheidend für die Verbreitung des Virus ist in jedem Fall die Phase der Infektiosität: PCR-Tests weisen RNA-Bestandteile aus den Atemwegen noch mehr als 14 Tage lang nach, bislang gelang es aber in keiner Studie, aus Proben älter als 9 Tage nach Erstsymptomen vermehrungsfähige Viren anzuzüchten . „Das kurze Zeitfenster der Infektiosität – in dem Antigentests anschlagen –, kontrastiert mit der Spanne von median 22 bis 33 Tagen, die Infizierte PCR-positiv sind – länger bei schweren Infektionen und kürzer bei asymptomatischen Personen", schreiben die Kommentatoren. „Dies legt nahe, dass 50–75% der Zeit, in der eine Person PCR-positiv ist, sie wahrscheinlich nicht mehr infektiös ist."

Screening braucht Tempo

Larremore und Forscherkollegen bildeten Testszenarien unter besonderer Berücksichtigung der beschriebenen Kinetik von Sars-CoV-2. Auch nach deren Modellierung hängt die Effektivität des Screenings nur marginal von der Testempfindlichkeit ab, aber wesentlich von der Häufigkeit des Testens und zudem von der Dauer bis zum Ergebnis, das eine rasche Isolation positiv Getesteter erlaubt. Sie stimmen mit dem Kommentar von Mina und Kollegen darin überein, dass es während der exponentiellen Virusvermehrung nur ein kleines Zeitfenster gibt, in dem ein PCR-Test schon positiv ausfällt, aber ein weniger sensitiver noch nicht. Antigentests mit ihrer Detektionsgrenze von ca. 105 Viruskopien/ml, die auf eine hohe Viruslast anschlagen, seien ausreichend in ihrer Genauigkeit, aber eben schneller als PCR-Tests, zudem billiger .
David Paltiel und Mitarbeiter berechneten die Effekte verschiedener Tests und Testfrequenzen (alle 2,3,oder 7 Tage) in einer fiktiven Kohorte mit 0,2% Infizierten. Heraus kam, dass schon mit einem Test von geringer Sensitivität (70%) aber guter Spezifität (mind. 98%), der alle zwei Tage angewendet wird, die Zahl der Infektionen kontrollierbar bleibt. Verbunden mit strikten Verhaltensregeln würde dies z.B. Schulöffnungen erlauben, so die Autoren. Ihr Kernpunkt ist, dass das Anheben der Testfrequenz die kumulative Inzidenz positiver Fälle wesentlich stärker begrenzte als das Anheben der Testsensitivität. Letztere spielte unter den maßgebenden Faktoren die geringste Rolle; weit wichtiger sei eine hohe Spezifität zur Vermeidung falsch-positiver Resultate .

Für und wider serielles Testen

Die Konsequenzen falsch positiver Befunde fallen umso mehr ins Gewicht, je häufiger getestet wird und je geringer die Prävalenz in der Population, gibt auch Prof. Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt zu bedenken. Menschen stur zweimal die Woche zu testen, unabhängig von Symptomen, sei die am weitesten gehende Strategie. Bei einer Test-Spezifität von z.B. 99% erscheinen von 1000 Personen 10 falsch positiv. "Wenn man am selben Tag eine Abklärung hinbekommt, ist der Schaden begrenzt, aber wenn dies bei regelmäßigen Testreihen häufiger vorkommt, könnte es bei Laien auch zu einem Vertrauensverlust in die Tests kommen", warnt die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie. Falsch positive Befunde träten nicht nur infolge einer nicht perfekten Spezifität auf, sondern recht häufig als Kreuzreaktion auf eine bakterielle Besiedelung, etwa mit S. aureus, die keinen Krankheitswert habe. Die Kombination von häufigem Testen und schnellen Ergebnissen stellt nach Einschätzung von Ciesek dennoch ein sinnvolles Tool dar, um Infektionsketten zu erkennen und zu unterbrechen. Die breite Verfügbarkeit von Antigenschnelltest würde auch erlauben, Menschen großzügig bei subtilen Symptomen wie Kopf- oder Halsschmerzen, statt erst bei „typischen" Beschwerden wie Fieber oder Husten, zu testen .
Was die Herausforderung durch falsch-positive Resultate angeht, ist die Antigentest-Expertin PD Dr. Claudia Denkinger von der Universität Heidelberg gelassen, sie verweist auf die unterschiedliche Spezifität der Assays: „Wir haben mittlerweile über 40.000 Personen mit dem SD Biosensor-Test untersucht und hatten nur 20 falsch positive Ergebnisse, d.h. die Spezifität ist nicht 99% sondern 99,9%. Auch beim Abbott-Test sind es mindestens 99,7%. Das trifft nicht für alle zu, aber die guten Tests sind wirklich gut."

Gurgel- und Spucktests weniger zuverlässig

Eine noch einfachere Anwendung versprechen Antigentests, deren Probematerial nicht durch Abstrich, sondern aus Spucke, Rachenspülwasser oder Gurgelwasser gewonnen wird. Sie könnten dort eingesetzt werden, wo Abstriche schwierig bis unmöglich sind, in Kindergärten, Schulen oder Pflegeinrichtungen. Die Fachwelt sieht allerdings bei Speichel- und Gurgeltests eine Datenlücke. „Die Sorge ist, dass ein Antigentest aus Speichel, aus Rachenspülwasser oder Gurgelwasser im Gegensatz zu PCR-Tests aus solchen Proben nicht so gut funktioniert. Speichel enthält Proteasen, die das Antigen, das der Test erkennen soll, zerstören können", sagt Prof. Ciesek. Nach den Erfahrungen von Dr. Denkinger ist bei Gurgel- und Speichelproben von einer 30% geringeren Empfindlichkeit im direkten Vergleich am Patienten zur Nasen-Probe auszugehen .

                                                                                                      Ralf Schlenger

Erschienen in:
Deutsche Apotheker Zeitung | 161. Jahrgang | 11.03.2021 | Nr. 10

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