Ralf Schlenger
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Keine Evidenz für Schäden durch Zahn-Amalgam

Amalgam-Forschungsprojekt abgeschlossen

Amalgam schadet im Allgemeinen nicht, außer denen, die darunter leiden. Das ist zugespitzt das Ergebnis des internationalen Forschungsprojektes, das zwölf Jahre lang das Schädigungspotenzial von Zahnamalgam untersuchte. Klar ist, dass Amalgamträger mehr Quecksilber im Blut haben. In Laborversuchen hemmte das Schwermetall Zellfunktionen. Doch gelang es in klinischen Studien des Projektes nicht, einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zahl der Füllungen, oder den Blutspiegeln an Quecksilber, und den subjektiven Beschwerden von "amalgamgeschädigten" Menschen nachzuweisen. Konkrete Hinweise gab es zur Diagnostik und zur Therapie eines „Amalgamschadens“.

In der Debatte um Zahnfüllungsamalgam, die fast 200 Jahre währt, hängt viel vom Blickwinkel ab. Für die "Amalgamgeschädigten" des Degussa-Prozesses von 1995 war der „Sondermüll im Mund“ ganz klar Auslöser ihrer massiven Beschwerden. Zwei Drittel derer, die den Amalgamhersteller auf Körperverletzung verklagten - 65% Frauen, mittleres Alter 43 Jahre -, gaben eine „Amalgamvergiftung" oder "Quecksilberbelastung" zu Protokoll, 13% psychische und Verhaltensstörungen, ebenso Viele Erkrankungen des Nervensystems. Die Zahl von ca. zwölf Amalgamfüllungen bei jedem der Klägerinnen und Kläger entsprach ziemlich genau der Zahl der pro Person geäußerten Beschwerden.

Zahnamalgam – ewig umstritten

Indizien, aber keine Beweisen für einen Kausalzusammenhang – also sprach der Richter salomonisch:Der Amalgamhersteller wird nicht zu Schadenersatz verurteilt, aber zur (Mit)Finanzierung des bis dato größten Amalgam-Forschungsprojektes. Welches Schädigungspotenzial besitzt Amalgam?. Wie lässt sich eine Schädigung diagnostizieren, wie therapieren? Diese Fragen wurden in sechs Teilstudien von 1996 bis 2007 untersucht. Anfang des Jahres publizierte das federführende Zentrum für naturheilkundliche Forschung der Technischen Universität München die letzte Teilstudie des Projektes.

Wer auf die Frage nach den Schädigungspotenzial eine einfache Antwort erwartete, wurde bei der Vorstellung der Studienergebnisse eines Besseren belehrt: "Ob und wie schädlich Amalgam wirklich ist, muss aus wissenschaftlicher Sicht sehr differenziert betrachtet werden“, dämpfte PD Dr. Dieter Melchart, als Leiter des Zentrums für naturheilkundliche Forschung am Münchner Klinikum rechts der Isar für die Studie verantwortlich, die Erwartungen. „Eine eindeutige Aussage, ob es gefährlich oder harmlos ist, können wir nicht machen.“ Doch fielen auch für nach einfachen Schlagzeilen dürstende Journalisten konkrete Ergebnisse ab.

Eine eingebildete Krankheit?

Für eine Unbedenklichkeit des grauen Werkstoffes sprechen zunächst die Ergebnisse der ersten Teilstudie von 1998: Die Wissenschaftler erhoben den Zahnstatus von knapp 5.000 zufällig ermittelten Zahnarzt-Patienten und dokumentierten eventuelle Beschwerden. Eingeschlossen waren Patienten bis 60 Jahre, um einen Bias durch zunehmende allgemeine Altersbeschwerden auszuschließen. 70% der Befragten waren Amalgamträger; sie wiesen durchschnittlich 15,7 Füllungen auf. In diesem unselektierten Kollektiv konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen und dem Auftreten und der Intensität von Symptomen nachgewiesen werden, die „Amalgamgeschädigte“ typischerweise plagen. Lediglich die 7,7% der Patienten, die im Begriff waren, alles Amalgam entfernen zu lassen, nannten häufiger Müdigkeit, Kopfschmerzen, metallischer Mundgeschmack und viele weitere Beschwerden (Melchart D et al. Eur J Oral Sci 1998;106:770-777).

Sanierung hilft – warum auch immer

Wie geht es den Menschen, die glauben, an dem Quecksilber in ihrem Mund zu leiden, nach einer Amalgamentfernung? Das untersuchte eine offene, prospektive Längsschnittstudie an 137 Patienten (68% Frauen, mittleres Alter 39 Jahre) Im Mittel 19 Füllungen belasteten die Teilnehmer. Sie nannten Beschwerden wie allgemeine Mattigkeit (59%), rasche Ermüdung (44%), Kopfschmerzen (36%) und Stimmungsschwankungen (34%). Vier von fünf Patienten ließen die Sanierung durch eine Ausleitungstherapie (Dimercaptopropansulfonsäure DMPS, Dimaval®) begleiten. Ergebnis: Nach der Amalgamsanierung gingen die Anzahl und die Intensität der Beschwerden zurück;Befindlichkeit und Lebensqualität nahmen zu. Ein Teil der Patienten wurde bis zu einem Jahr nachbeobachtet. Die Besserung hielt überwiegend an, verstärkte sich teils noch. Wegen des Fehlens einer Kontrollgruppe belegt die Studie keine kausale Beziehung zwischen dem Erfolg und der Therapie. Dies spiegelt eine methodisches Einschränkung von Studien ohne Möglichkeit zur Verblindung.

Zweifel schon bei der Diagnose

Doch die Unsicherheiten beginnen schon früher, bei den diagnostischen Schwierigkeiten, eine Belastung des Organismus durch Amalgam zuverlässig nachzuweisen, so PD Dr. Klaus Linde vom Zentrum für naturheilkundliche Forschung der TU München. Ein in komplementärmedizinischen Kreisen gängiges Diagnoseverfahren - das Prognos®-Gerät, das elektrische Hautwiderstände misst – vermochte in einer Studie des Amalgam-Projekts nicht zu unterscheiden zwischen Probanden mit und ohne Amalgam-Beschwerden und solchen, die ganz frei von Amalgam sind. Hingegen kann die Bestimmung von anorganischem Quecksilber in Speichel und Blut zumindest eindeutig zwischen Amalgamträgern und amalgamfreien Probanden trennen.

Auf die Quelle kommt es an

Die Belastung des Menschen mit Quecksilber kann organischer und anorganischer Art sein. Als Hauptquelle des organisch gebundenen Quecksilbers gelten Meeresfische. „Küstenbewohner, für die Fisch eine Hauptnahrung darstellt, kommen oft auf sehr hohe Quecksilberwerte im Blut, ohne von Amalgamgeschädigten angegebene Symptome aufzuweisen“, so Prof. Stefan Halbach vom Helmholtz-Forschungszentrum Neuherberg (Vormals GSF) Halbach. Methylquecksilber gilt als sehr giftig für Leber, Nieren, Herz, Nerven- und Immunsystem.

Anorganisches Quecksilber aus Amalgamfüllungen kann gasförmig oder ionisiert vom Körper aufgenommen werden. Nach den Angaben von Prof. Halbach liegen die Spiegel von anorganischem Quecksilber in Zellen und Plasma von Amalgamträgern rund vierfach höher als bei Menschen ohne Amalgam. "Der Unterschied ist hochsignifikant, jedoch bewegen sich die Konzentrationen weit unterhalb des für die Gesundheit kritischen Bereiches", so der Toxikologe. Das gelte auch für das organische Methylquecksilber.

Sanierung: Organisches Quecksilber bleibt!

Die innere Belastung des Organismus durch Amalgam spiegeln die Blut- und Urinwerte für anorganisches Quecksilber gut wider, so Halbach. „Hingegen besteht keine Korrelation zwischen Amalgamflächen und dem Gesamt-Quecksilber im Vollblut“, widerspricht Halbach Amalgam-Kritikern.

Nach einer Amalgamentfernung sinken lediglich die Spiegel des anorganischen Quecksilbers im Plasma stark ab, und zwar um bis zu 70% binnen drei Wochen. Der Spiegel von Methylquecksilber bleibt von der Sanierung unberührt, sofern der "Nachschub" aus der Nahrung persistiert.

Subtoxisches Zellgift

Ein unerwartetes Ergebnis der Untersuchungen war dass Blutzellen (nicht: Plasma) ihren Gehalt an organischem Quecksilber nach einer Amalgamentfernung sogar steigern, erläuterte Halbach. Eine Erklärung wäre, dass freie intrazelluläre Bindungsstellen von anorganischem durch nachrückendes organisches Quecksilber besetzt werden, so der Toxikologe. Im Experiment erweisen sich Monozyten als relativ unempfindlich gegenüber toxischen Quecksilberkonzentrationen im Bereich von 0,27 bis 2,72 µM. Lymphyozyten werden schon bei niedrigen Hg-Konzentrationen in ihrer Funktion beeinträchtigt. Leber-, Nieren und Nervenzellen zeigen nach Amalgam-Exposition eine verminderte Anpassungsfähigkeit auf Stressreize. Sie werden vulnerabler für Fiebertemperaturen, oxidativen Stress, Äthanol und andere Umweltgifte wie Kadmium.

Das German Amalgam Trial (GAT)

Die neueste Studie, März 2008 publiziertals „German Amalgam Trial“, verglich erstmals randomisiert drei verschiedene Therapien für unter Amalgam leidende Menschen. Die Frage war, was würde die subjektiven Beschwerden am besten lindern: a) Amalgamentfernung, b) Amalgamentfernung in Kombination mit einer biologischen Ausleitungstherapie mit hohen Dosen Vitaminen und Spurenelementen, oder c) ein strukturiertes Gesundheitstraining ganz ohne zahnärztlichen Eingriff?

Die Rekrutierung einer ausreichenden Zahl Patienten verlief stockend, u.a. weil viele an der Studie Interessierte ihr Amalgam unbedingt loswerden wollten und eine Randomisierung verweigerten, berichtete Studienleiter Melchart. In die Studie wurden Personen zwischen 20 und 50 Jahren eingeschlossen, für deren Beschwerden die Ärzte nach zahnärztlichen, klinisch-toxikologischen, internistischen und psychischen Untersuchungen keine somatische oder psychische Erklärung fanden. Die Studienteilnehmer gaben dem Amalgam die Schuld an mindestens zehn Beschwerden, vor allem Hautleiden, Kopfschmerzen, Nervosität und Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Schwäche. Seltener wurden Allergien, gastrointestinale oder kardiovaskuläre Reaktionen auf Amalgam genannt.

Zehn bis 13 Zahnarztsitzungen waren in den Sanierungsgruppen notwendig, davon vier für die Amalgamentfernung. Die Gruppe B erhielt zusätzlich eine "Entgiftungstherapie" mit Vitaminen und Spurenelementen gemäß den Empfehlungen der Internationalen Vereinigung für Ganzheitliche Zahnmedizin: Vier Wochen vor der Sanierung bis acht Wochen danach schluckten die Patienten 100 mg Vitamin B, einem Gramm Vitamin C, 300 mg Vitamin E, 500 mg Kalzium, 200 µg Natriumselenit (getrennt von Vitamin C einzunehmen), 80 mg Zinkorotat, und variable Mengen einer Knoblauchzubereitung. Die Probanden der Gruppe C instruierte man in bis zu 14 Gruppensitzungen in Ordnungstheorie und gesundem Lebensstil, betreffend Ernährung, Entspannung, Stressabbau u.ä.

Amalgamentfernung hilft – Psychotraining auch

Vor sowie ein, zwei, sechs, zwölf und 18 Monaten nach der Sanierung gaben die Patienten ihre Beschwerden an und quantifizierten sie auf einer Skala. Die Auswertung nach zwölf Monaten, als primärer Endpunkt festgelegt, ergab keine signifikanten Unterschiede im Ausmaß der Beschwerbesserung zwischen den drei Gruppen, berichtete Melchart. Der gewichtete Summenscore sank in den beiden Gruppen mit Amalgamentfernung um durchschnittlich 3,5 Punkte, während sich die in Lebensstilfragen trainierten Patienten auch ohne Zahnarztsitzungen einer Verbesserung um 2,5 Punkte erfreuten. Auch bezüglich sekundärer Endpunkte wie der Lebensqualität und der psychischen Belastung gab es keine signifikanten Differenzen. Die Quecksilberspiegel in Blut und Urin gingen nach Amalgamentfernung zurück. Interessanterweise zeigte die "biologische Detoxifikation" keinen statistisch bedeutsamen Effekt.

"Die Amalgamentfernung bringt zwar Linderung, aber nicht unbedingt durch die Entfernung selbst", kommentierte Prof. Reinhart Hickel von der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der LMU das Ergebnis. "Manche Leute berichten schon zwei Tage nach der Gebisssanierung, es gehe ihnen erheblich besser", betonte der Zahnmediziner. "Dabei ist einige Tage nach dem Herausbohren des Amalgams die Quecksilberbelastung besonders hoch." Der Zahnarzt rät davon ab, intakte Amalgamfüllungen zu entfernen. Zumal auch andere Materialien nicht völlig unbedenklich seien: Das edle Gold verursache häufiger Allergien als Amalgam.

Ralf Schlenger

Quelle: Pressekonferenz "Forschungsprojekt Amalgam – German Amalgam Trial GAT", des Klinikums rechts der Isar, Technische Universität München, 4.4.2008
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