Ralf Schlenger
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Birgit Matejka Werner Stingl Ralf Schlenger Dr. Ina Schicker Dr. Ulrich Scharmer

Osteoporose

Neue und kommende Therapien

Je nach Quelle leidet in Deutschland jede zweite bis vierte Frau über 65 Jahren an Osteoporose. Therapien zielen bislang primär auf die überaktiven Osteoklasten. Deren Rolle als „Knochenfräse“ steht jedoch in ganz engem Zusammenspiel mit der Tätigkeit ihrer Gegenspieler, der Osteoblasten. Die komplexen Signalwege zwischen diesen Zelltypen werden zunehmend verstanden, sie eröffnen neue Therapieoptionen.

Im gesunden Knochen stehen Formation und Resorption im Gleichgewicht. Vereinfacht gesagt, führt die Dominanz des „Knochenbildners“ Osteoblast zu Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit). Ein Überwiegen der Osteoklasten verschlechtert die Mineraldichte und die Knochenarchitektur und verursacht Osteoporose. Der Osteoklast ist pharmkologisches Ziel mehrerer Substanzklassen: v.a. Estrogene, Selektive Estrogen Rezeptor Modulatoren (SERM), Bisphosphonate und Hemmstoffe des RANK-Liganden. Standard-Antiresorptiva sind heute die Bisphosphonate. Sie lagern sich dem Knochen auf und hemmen einerseits die Mineralisation. Außerdem inhibieren sie Osteoklasten und führen sie in die Apoptose.

Osteoklastenhemmung über den RANK-Signalweg

Ein neues antiresorptives Wirkprinzip steht seit Juni 2010 mit Denosumab, einem Hemmstoff des RANK-Liganden (Receptor Activator of Nuclear Factor κB, NF-κB) zur Verfügung. Der RANK-Ligand wird von Osteoblasten gebildet bindet an einen Rezeptor (RANK) auf unreifen und reifen Osteoklasten. Dieser aktiviert über den Transkriptionsfaktor NF-κB die Expression bestimmter Gene. Der RANK-Signalweg ist essenziell für Reifung, Funktion und Überleben der Osteoklasten. RANK verschiebt die Stoffwechselbalance zum Knochenabbau.

Als physiologischer Gegenspieler fungiert das Peptid Osteoprotegerin (OPG). Bildlich gesprochen ist für die Aktivierung der Osteoklasten RANK der Motor, RANKL das Gaspedal, OPG die Bremse. Denosumab (Prolia®) ist der erste zugelassene Wirkstoff, der gezielt in diesen Signalweg eingreift. Der humane monoklonale Antikörper imitiert die Funktion von Osteoprotegerin als RANKL-Antagonist und verschiebt das Gleichgewicht des Knochenstoffwechsels zum Knochenaufbau. Denosumab ist zur Behandlung von Osteoporose und anderer Erkrankungen indiziert, die mit einem Verlust an Knochendichte einhergehen. In klinischen Studien mit postmenopausalen Frauen erhöhte Denosumab die Knochendichte im gesamten Skelett (Bone HG et al. 2008) und senkte gegenüber Placebo das relative Risiko für Wirbelkörperbrüche (-68%), Hüft- (-40%) und nicht-vertebrale Frakturen (-20%, Cummings SR et al. 2009). Außerdem ist Denosumab bei Männern mit Prostatakarzinom mit erhöhtem Frakturrisiko unter Hormonablation zugelassen. Studien bestätigten eine Risikosenkung für vertebrale Frakturen.

Cathepsin-K-Inhibitoren: die physiologischere Therapie?

Osteoblasten steuern über die Expression von RANKL und OPG die Aktivität der Osteoklasten in ihrer Nähe. Umgekehrt beeinflusssen Osteoklasten über den Mediator Sphingosin-1-Phosphat die Bildung von Osteoblasten. Die Interaktion zwischen Osteoblasten und Osteoklasten innerhalb einer bone multicellular unit (BMU) nennt man „coupling“. Bei den typischen Antiresorptiva wie Bisphosphonaten und Denosumab verlaufen Knochenformation und -resorption gekoppelt, erläuterte Prof. Michael Amling vom Institut für Osteologie und Biomechanik, Hamburg: Beide Vorgänge werden unterdrückt, wobei die Resorptionshemmung überwiegt (vgl. Abb.1). Durch die schleichende Apoptose der Osteoklasten wird der Knochenstoffwechsel insgesamt unterdrückt. Eine neue Klasse von antiresorptiven Substanzen, die Cathepsin-K-Antagonisten, lässt die Osteoklasten funktionell intakt, was eine „physiologischere“ Osteoporosetherapie in Aussicht stellen könnte. Anders als Bisphosphonate und Denosumab führen Cathepsin-K-Hemmer die Osteoklasten nicht in die Apoptose, so Amling. Die Signalwege zwischen den knochenauf- und abbauenden Zelltypen bleiben erhalten. Gehemmt werden lediglich wichtige lytische Enzyme des Osteoklasten, die Cathepsine - Proteasen mit einem saurem pH-Optimum. Der Osteoklast sezerniert sie zusammen mit sauren Phosphatasen und Protonen zum Auflösen der Knochensubstanz. Von den 11 bekannten Cathepsinen exprimiert der Osteoklast in hohem Maße Cathepsin K. Er speichert es in Lysosomen, von wo es  zur Knochenresorption freigesetzt wird.

Die Bedeutung dieses Mechanismus unterstreicht der Tierversuch: Cathepsin-K-defiziente erleiden eine Knochenpetrose mit übersteigerter Knochendichte. Die entsprechende Erkrankung beim Menschen heißt Pyknodysostose. Eine seltene genetische Mutation im Chromosom 1 führt zu einer Unterfunktion von Cathepsin K. Die Knochensubstanz wird hoch verdichtet, bleibt aber labil, es kommt zu Zwergwuchs und Frakturen. An Pyknodysostose litt der Maler Henri de Toulouse-Lautrec litt, der nur 1,52 m maß.

In Phase III: Odanacatib einmal wöchentlich

Drei Cathepsin-Inhibitoren (Catibe) zur Osteoklastenhemmung wurden im letzten Jahrzehnt beforscht. Odanacatib (MSD), Balicatib (Novartis ) und Relacatib (GSK) hemmen außer dem Target Cathepsin-K auch weitere Cathepsine, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Die Entwicklung von Balicatib wurde im Jahr 2005 wegen Hautverdickungen gestoppt. Odanacatib (MSD) erwies sich als ausreichend selektiv und akkumuliert nicht wie Balicatib in den Lysosomen. Seit mehreren Jahren laufen Phase-II-Studien an postmenopausalen Frauen mit T-Scores der Knochendichte unterhalb 2,0 an Lendenwirbelsäule und Femurhals. Gegen Placebo werden Dosierungen von 3, 10, 25 und 50 mg wöchentlich geprüft. Für eine Phase-III-Frakturstudie sind mittlerweile über 16.000 Patientinnen rekrutiert. Ergebnisse werden Mitte 2012 erwartet.

Experten setzen in Cat-K-Inhibitoren große Hoffnungen. „Cat-K-Inhibitoren erlauben eine Resorptionshemmung ohne wesentliche Hemmung der Formation“, so Amling. „Die möglich Entkopplung von Knochenformation und -resorption könnte zu einer noch größeren Steigerung der Mineraldichte und entsprechend höherem Frakturschutz führen.

Gesucht: das risikofreie Super-Östrogen

Auch die Östrogenwirkung am Knochen vermittelt wahrscheinlich der RANK-Signalweg. Die Hormone regen die Osteoblasten zu verstärkter Expression von Osteoprotegerin an und senken jene von RANKL (s.o.). Daher verstärkt der Estrogenabfall nach der Menopause den Knochenabbau, und die Hormonersatztherapie (HET) vermag in der Primärprävention osteoporosebedingte Frakturen zu senken. Das Problem: Estrogene wirken auch auf Uterus, Brustdrüse und am kardiovaskulären System. Mit dem Ziel, die erwünschten Wirkungen am Knochen mit Estrogen-antagonistischen Wirkungen an den anderen Organen zu verbinden, wurden selektive Estrogenrezeptormodulatoren (SERM) entwickelt, erklärte Dr. med. Volker Ziller von der Universität Marburg. „Es muss heute davon ausgegangen werden, dass das Agonist/Antagonist-Konzept die klinischen Wirkungen diverser SERM nur unzureichend spiegelt und jeder SERM ein spezifisches Wirkspektrum aufweist“, so der Gynäkologe.

Beim SERM der ersten Generation, Tamoxifen, fiel das Nutzen-Risikoprofil für eine generelle Hormonsubstitutionstherapie in der Postmenopause negativ aus. Das Risiko für Endometriumkarzinome war erhöht. Die aktuelle Messlatte legte Raloxifen, das 1998 für die Prävention und Therapie der postmenopausalen Osteoporose zugelassen wurde.  Raloxifen steigert die Knochenmineraldichte an LWS und Oberschenkelhals und vermindert das Risiko für vertebrale Frakturen. Das Brustkrebsrisiko sinkt bei Osteoporosepatientinnen und bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko. Als Nebenwirkungen verbleiben die leicht erhöhte Rate von Hitzewallungen sowie Thrombosen.

Partieller Fortschritt: SERM der dritten Generation

Im Februar 2009 wurde Lasofoxifen zugelassen, das nicht im Handel ist. Bazedoxifen (Conbriza®) erhielt im April 2009 die Zulassung zur Therapie der postmenopausalen Osteoporose und ist seit Dezember 2010 verfügbar. Die Patientin nimmt einmal täglich eine 20-mg-Tablette unabhängig von den Mahlzeiten ein. In einer Head-to-head-Studie senkten 20 mg Bazedoxifen und 60 mg Raloxifen in vergleichbarem Ausmaß das Risiko für neue Wirbelkörperfrakturen. Nichtvertebrale Frakturen sanken nicht signifikant. In Uterus- und Brustgewebe antagonisiert Bazedoxifen wie Raloxifen die Estrogenwirkung. „Unter Bazedoxifen wird das Endometrium nicht stimuliert, sondern sogar antagonisiert, dies eröffnete eine neue Therapiemöglichkeit“, so Ziller.

Besondere Vorteile könnte zukünftig die Kombination mit kombinierten Estrogenen bieten (BZA/CEE), die in der SMART-1-Studie untersucht wurde (Selective estrogens, Menopause And Response to Therapy). BZA/CEE erzielte höhere Anstiege der Knochendichte an der LWS als Plazebo, in den meisten Dosierungen auch gegenüber Raloxifen. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zu Plazebo für thromboembolische und kardiovaskuläre Ereignisse. Zusätzlich half die Kombination BZA/CEE gegen Hitzewallungen, vaginale Atrophie und Dyspareunie (unagenehme Empfindungen der Frau beim Geschlechtsverkehr). Unter BZA/CEE mit mindestens 20 mg BZA wurde die Gebärmutterschleimhaut nicht mehr stimuliert.

“Unterm Strich bieten die heute eingesetzten SERM eine sehr gut evaluierte, evidenzbasierte

Therapieoption für die Therapie der postmenopausalen Osteoporose“, bilanziert Ziller. Das SERM-Konzept sei indes nicht ausgereizt: So habe derzeit noch kein

SERM alleine einen positiven Effekt auf Hitzewallungen gezeigt. Bei allen verfügbaren Substanzen müsse ein erhöhtes Risiko thromboembolischer Ereignisse beachtet werden.

Es bestehe Aussicht auf Substanzen mit geringeren Nebenwirkungen oder zusätzlichem Nutzen für diverse Organe.


Neue knochenanabole Therapien

Der Osteoblast als Target scheint im Vergleich zum Osteoklasten schwerer erreichbar. Zum Wiederaufbau verlorener Knochenmasse stehen bislang nur Strontiumranelat und die tägliche Injektion von Teriparatid zur Verfügung. Das rekombinante Teriparatid (Forsteo®) besteht aus dem aminoterminalen Fragment (1-34) des humanen Parathormons. Teriparatid ist indiziert bei schwerer Osteoporose von Frauen und Männern mit hohem Frakturrisiko, sowie bei der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose. Die intermittierende, einmal tägliche Injektion von 20 µg senkt das Risiko von Wirbel- und nichtvertebralen Frakturen. Im Februar 2009 wurde die zeitliche Begrenzung der Therapie von 12 auf 24 Monate verlängert, nachdem sich in Studien in den letzten sechs von 24 Monaten Therapie ein starker Anstieg der Knochenmineraldichte gezeigt hatte.

Teriparatid eine halbe Stunde pflastern

Welche Wirkung erzielt ein transdermales Pflastersystem im Vergleich zur Teriparatid-Spritze? Dies wurde in einer Studie an 165 osteoporosekranken Frauen geprüft (Cosman 2010). Sie klebten täglich für eine halbe Stunde ein Pflaster mit 20, 30, oder 40 µg Teriparatid am Bauch auf. Frauen in Vergleichsgruppen bekamen Teriparatid- oder Placebo-Injektionen. Die Teriparatid-Pflaster erhöhten dosisabhängig die Knochendichte an der LWS stärker als Placebo, berichtete Prof. Marius Kraenzlin von der Klinik für Emdokrinologie, Diabetologie und Metabolismus am Universitätsspital Basel. Die 40-µg-Dosierung übertraf bezüglich der Gesamthüfte die Wirkung der 20-µg-Injektion. Keine Hypercalcämie oder sonstige gravierende Nebenwirkung trat auf. Den Unterschied machte die Kinetik, sagte Kraenzlin: „Das hochdosierte Pflaster erzielte seinen Plasma-Peak schneller als subkutan injiziertes Teriparatid, bei kürzere Halbwertszeit. Die rasche pulsatile Freisetzung könnte einen höheren knochenanabolen Effekt bewirken.“

SOST-Antikörper als neues anaboles Prinzip

Parathormon bzw. Teriparatid aktivieren ruhende Osteoblasten und hemmen ihre Apoptose. Vermittelt wird dies über die Aktivierung der so genannten Wnt-Signalkaskade. Wnt’s sind Glykoproteine, die über Oberflächenrezeptoren vieler Zelltypen deren Genexpression beeinflussen. Man hat Hemmstoffe der Wnt-Signalkette identifiziert, die im Knochenstoffwechsel als Gegenspieler von Parathormon fungieren: die Proteine Sclerostin (SOST), das von Osteozyten sezerniert wird, und Dickkopf-1 (DKK-1), gebildet von Osteoblasten. Sie erlauben einen neuen Ansatz in der Osteoporosetherapie, wie Kraenzlin ausführte. Der osteoanabole Effekt von Parathormon wird partiell durch eine Hemmung von Sclerostin und DKK-1 vermittelt (Kobayashi et al., 2009). Auch der Knochenaufbau infolge muskulären „Trainings“ des Knochengewebes wirkt über die Unterdrückung von SOST. Entdeckt wurde das Protein bei Patienten, die aufgrund eines Defekts im SOST-Gen an übermäßiger Knochenbildung leiden. Ein daraufhin synthetisierter Anti-SOST-Antikörper ließ in einer Studie mit gesunden postmenopausalen Frauen Marker der Knochenbildung ansteigen. Derzeit wird er in einer Phase-II-Studie bei Frauen mit postmenopausaler Osteoporose geprüft. Kraenzlin räumt SOST-Antikörpern die größten Chancen ein, als nächstes knochenanaboles Prinzip in die Therapie Einzug zu halten. Der Wermutstropfen: Bei einer Hemmung des universalen Wnt-Signalwegs sind mögliche systemische Risiken zu beachten, von Gefäßverkalkung bis zu carcinogenen Effekten.

Calcium-sensing-Receptor- Antagonisten

Eine Substanz, die zu kurzzeitigem hohem Ausstoß von Parathromon führt, würde osteoanabol wirken. Diesen Ansatz verfolgt man mit Calcium-sensing-Receptor- Antagonisten (Calcilytika). Sie blockieren die Calciumsensoren auf der Oberfläche der Nebenschilddrüsenzellen, welche die Freisetzung von Parathormon regeln. Ob PTH auf den Knochen anabol oder katabol wirkt, hängt davon ab, wie lange am Tag der PTH-Spiegel über einem gewissen level liegt, so Kraenzlin. Ein Calcilytikum muss eine kurze Halbwertszeit aufweisen, um die Parathormon-Sekretion „kurz und heftig“ zu stimulieren. Diese Voraussetzungen erfüllte Ronacalcet. Eine Dosisfindungsstudie wurde aber wegen ungenügendem Anstieg der Knochendichte abgebrochen. Verschiedene Calcilytika sind in frühen Entwicklungsphasen; ein großer Vorteil im Vergleich zu Teriparatid wäre die orale Gabe.

 

Osteonekrose durch Parathormon heilen

Kieferknochennekrosen treten sehr selten bei Patienten auf, die wegen einer Osteoporose mit oralen Bisphosphonaten behandelt werden. Die genaue Pathogenese ist unklar. Die übliche Behandlungsstrategie zielt auf Schmerzlinderung, Infektbehandlung und lokales Wunddébridement. Als Heilversuch (off label) kann zur Heilung der Osteonekrose niedrig dosiertes Teriparatid eingesetzt werden, berichtete Prof. Dr. med. Marius Kraenzlin, Basel. In Fallstudien führte der knochenanabole Effekt von Parathormon oder von Teriparatid binnen Wochen zur Besserung, in einigen Monaten zum Verschwinden der Nekrose.


Prof. Dr. med. Michael Amling, Hamburg; Prof. Dr. med. Marius E. Kraenzlin, Basel: Neue und kommende Therapien der Osteoporose. Vorträge beim Kongress Osteologie 2011, Fürth, 23.-26. März 2011




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