Werner Stingl
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Testosteronsubstitution beim Mann

Aus Alt mach Neu?

Trotzdem oder vielleicht gerade weil die Hormonersatztherapie für die reife Frau in den letzten Jahren angesichts eines lange Zeit verkannten und bestrittenen Nebenwirkungsrisikos zunehmend in Verruf geraten ist, wird derzeit ein neues Objekt pharmaindustrieller Begierde kreiert: The aging male. Ob die Testosteronsubstitution für Gesundheit und Lebensqualität des Mannes in den ehedem so bezeichneten besten Jahren allerdings hält was sie verspricht, wird kontrovers diskutiert.

Anders als die innerhalb weniger Wechseljahre verlöschende gonadale Östrogenproduktion der Frau, ist der Verlust des männlichen Geschlechtshormones Testosteron weniger total und über viele Jahrzehnte schleichend. Zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr sinkt beim Mann das biologisch aktive freie Testosteron im Blut um jährlich durchschnittlich 1,2 Prozent. Laut Ergebnissen epidemiologischer Altersstudien wie etwa der longitudinalen Baltimore-Studie haben 20 Prozent der über 60-jährigen Männer einen Gesamttestosteronspiegel unterhalb der als kritisch definierten Grenze von 12 nmol/l. Bei den über 70-Jährigen steigt der Anteil mit einem solchen Testosterondefizit auf 30 Prozent und bei den über 80-Jährigen auf 50 Prozent an. Gesellen sich dann zu einem wiederholt gemessenen Gesamttestosteronwert von unter 12nmol/l nicht anderweitig plausibler erklärbare mögliche Testosteronmangelsymptome hinzu wie Antriebsschwäche, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, chronische Müdigkeit, Reizbarkeit, Nervosität, Hitzewallungen und natürlich Libidoverlust, ist nach dem im Jahr 2001 verfaßten Konsensuspapier "Der alternde Mann" eine Testosterontherapie indiziert. Und, man höre und staune, eine solche Therapie ist dann, zumindest formal, auch erstattungsfähig. Das Konsensuspapier unterzeichnet haben übrigens die Deutsche Gesellschaft für Andrologie, die Deutsche Dermatologische Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie und die Deutsche Gesellschaft für Urologie.

Was ich weiß macht mich heiß

Hält man sich die überwiegend unspezifischen Testosteronmangelsymptome und gleichzeitig den mit dem Alter zunehmenden hohen Anteil an Patienten mit indikationgerecht niedrigen Testosteronspiegeln vor Augen, braucht es wenig Phantasie, um sich den riesigen Markt vorzustellen, der winkt, wenn es gelingt, Männer für ihre je nach Perspektive altersphysiologischen beziehungsweise alterspathologischen Hormonmangelsymptome zu sensibilisieren. Und selbst wer nur meint, vorzeitig zu verblühen ohne daß sich dieser Umstand labormedizinisch objektivieren läßt, ist von einer Testosteronsubstitution nicht ausgeschlossen. Er muß die angestrebte Jungkur dann allerdings als individuelle Gesundheitsleistung aus eigener Tasche bezahlen.

Was man dafür bekommt...

Die Testosteronsubstitution ist bei jüngeren Männern mit klassischen Formen des Hypogonadismus seit vielen Jahren etabliert, so etwa bei Patienten mit Klinefelter-Syndrom. Die Substitution ist hier wenig umstritten und sie sollte möglichst früh beginnen. Wie etwa der Internist und Endokrinologe Professor Armin Heufelder aus München anläßlich einer Pressekonferenz zu einer Gemeinschaftstagung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie und der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin im September 2003 in München betont hat, ist speziell für Klinefelter-Patienten und andere Patienten mit angeborenem oder früh erworbenem Hypogonadismus der therapeutische Ersatz des fehlenden oder nur reduziert produzierten Androgens ein wahrer Segen: Die Substitution gewährleistet die Ausbildung und den Erhalt körperlicher und teilweise auch psychischer männlicher Attribute, sie steigert Libido, Selbstwertgefühl und Lebensqualität, sie soll das bei diesen Patienten erhöhte Risiko für Osteoporose, Atherosklerose sowie Blutarmut reduzieren und es gibt Hinweise, daß testosteroninduziert eine verbesserte Durchblutung bestimmter Hirnareale erreicht werden kann, womit auch ein kognitiver Leistungsprofit denkbar scheint. Fraglich ist, ob die bei Männern mit frühem Hypogonadismus gewonnenen Erkenntnisse zum Nutzen einer Testosteronsubstitution auf Männer mit altersbedingtem Testosteronschwund übertragen werden dürfen. Getan wird es jedenfalls häufig.

In ihrem 2003 erschienen Übersichtsartikel "Hormonersatztherapie beim Mann - Sinn oder Unsinn?"  (Blickpunkt Der Mann 1/2003) kommen die beiden medizinischen Autoren Jockenhövel und Schubert nach Sichtung der aktuellen Studienlage zu folgenden Resultaten: Bei älteren Männern mit reduzierten Testosteronspiegeln sind durch eine Substitution günstige Effekte auf den Knochenstoffwechsel belegt. Der Nachweis, ob damit auch die Frakturrate sinkt, steht aus. Auch die Muskelmasse und -kraft nehmen unter der Testosteronsubstitution meßbar zu. Ob damit ein alltagsrelevanter funktionaler Benefit und eine Zunahme der Lebensqualität verbunden ist, wurde in kontrollierten Studien bislang ebenso wenig ermittelt wie die Antwort auf die Frage, ob durch die verbesserte Muskelkraft das Sturzrisiko Betagter vermindert wird. Der Fettgewebeanteil wird nachweislich auch beim älteren Testosteronsubstituierten reduziert. Aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse ist aber der Einfluß auf die Insulinresistenz und das Lipidprofil ebenso unklar wie der Gesamteffekt auf das kardiovaskuläre System. Wie auf Anfrage unserer Zeitung aus dem Hause des Testosteronpräparate-Herstellers Jenapharm zu hören war, scheint man sich bezüglich der Frage "eher günstiger oder eher ungünstiger kardiovaskulärer Konsequenzen" inzwischen auf die Formel "weder noch" geeinigt zu haben. Eventuelle klinisch relevante positive Effekte einer testosteronforcierten Erythropoese sind jenseits einer manifesten Anämie bislang nicht gesichert und der denkbar vermehrten Sauerstoffverfügbarkeit durch einen Hb-Anstieg steht ein iatrogenes Polyglobulie-Risiko gegenüber, so wieder Jockenhövel und Schubert. Gesichert scheint zumindest auch bei älteren Männern ein Libidoanstieg, sobald ein bestehender Testosteronmangel ausgeglichen wird. Ob damit immer auch die sexuelle Zufriedenheit verbessert wird, sei dahingestellt. Denn was, wenn das womöglich auf Kassenrezept wieder hergestellte sexuelle Wollen eine bislang subjektiv irrelevante testosteronunabhängige erektile Dysfunktion zum manifesten Problem werden läßt? Auf Kassenkosten jedenfalls gibt es dafür dann keine Lösung.

...und was man dafür riskiert

Mögliche negative Effekte einer Testosteronsubstitution sind unter anderem Gynäkomastie, Verschlechterung oder Manifestation einer Schlafapnoe, eine bereits angesprochene Polyglobulie und vor allem ein beschleunigtes Wachstum nicht erkannter Prostatakarzinome. Vielleicht aufgeschreckt durch schlechte Erfahrungen mit der Hormonersatztherapie in der Gynäkologe, mahnte in diesem Zusammenhang der Frauenarzt und Antiaging-Experte Dr. Bernd Kleine-Gunk aus Fürth auf einer Pressekonferenz zu der Fortbildungsveranstaltung "Lebenslust nach 50 - ärztliche Hilfestellungen" im März diesen Jahres an der Dermatologischen Klinik der LMU in München zu strengsten Indikationsstellungen. Kleine-Gunk erinnerte daran, daß laut Autopsiebefunden bis knapp die Hälfte aller Männer im fortgeschrittenen Alter früher oder später ein okkultes Prostatakarzinom entwickeln. Und so lange nicht ausgeschlossen ist, daß diese latenten Karzinome durch eine Testosteronsubstitution angefeuert werden, predige er Zurückhaltung gegenüber dieser Therapieoption. Möglicherweise habe sich die Natur ja was dabei gedacht, im Alter die Produktion bestimmter Hormone zu drosseln. Die Vorteile einer notwendigen Hormonsubstitution in jungen Jahren pauschal ins Alter zu projizieren, sei falsch. So haben wir aus epidemiologischen Studien erkennen müssen, daß eine erste Schwangerschaft in jungen Jahren mit einem verminderten Brustkrebsrisiko einher geht. Eine erste Schwangerschaft nach dem 35. Lebensjahr erhöht dagegen das Brustkrebsrisiko. Möglicherweise ist also eine (schwangerschaftsbedingte) Östrogenüberflutung des Organismus vor dem 30. bis 35. Lebensjahr ein Vorteil, danach dagegen ein Nachteil. Dieses Konzept des zeitlichen Fensters, wonach ein gleicher Hormoneinfluß zu unterschiedlichen Lebenszeiten gegenteilige Effekte haben kann, sollte uns auch im Hinblick auf die Testosteronsubstitution des alternden Mannes zu denken geben, analogisierte Kleine-Gunk.


                                                         Werner Stingl

Was Tiermediziner und Medizinhistoriker sagen


Mit einem Testosteronmangel werden nicht nur Befindlichkeitsstörung sondern auch schwerwiegende Gesundheitsprobleme in Verbindung gebracht. Gestützt auf konkrete klinische Befunde oder auch nur Surrogatmarker, werden einem ausgeprägten Testosteronmangel - wie auch schon im Haupttext zu lesen - Folgen angelastet wie Anämie, Osteoporose und beschleunigte Atherosklerose. In letzter Konsequenz könnte damit sogar mit einem schnelleren Ableben unter Testosteronmangelbedingungen gerechnet werden, was natürlich die Substitutionsnotwendigkeit unterstreicht.
  
Aber wie relevant ist ein solches Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko für Patienten mit altersbedingtem Testosteronmangel tatsächlich? Ein Blick in die Veterinärmedizin mit ihren weit größeren praktischen Testosteronmangelerfahrungen als die Humanmedizin dürfte hier eher zu Entwarnung verleiten. Kastrierte männliche Haustiere leben eher länger denn kürzer als ihre nicht entandrogenisierten Artgenossen. Die Recherche, inwieweit hier der per Schnitt herbeigeführte Testosteronmangel direkt lebensverlängernde Effekte entfaltet oder nur indirekt, indem er die Kastrierten vor sexuellem Streß und verletzungsträchtigen Rivalenkämpfen verschont, blieb leider ergebnislos.
  
Die konkrete Frage, ob denn beispielsweise Wallache, also Hengste, die keine mehr sind, zu Anämien oder Osteoporose neigen, verneinte Tierarzt Dr. Karl Schweighofer von der Pferdeklinik Parsdorf bei München. Weder seine Erfahrung noch die ihm bekannte Fachliteratur würden in diese Richtung weisen. Würde man mit der Kastration tatsächlich in signifikantem Umfang solche leistungsschmälernden Folgeerkrankungen riskieren, wäre auch kaum vorstellbar, daß gerade unter den hochpreisigen Turnierpferden Wallache weit verbreitet sind.
  
Doch nicht nur die Tiermedizin, auch aktuelle medizingeschichtliche Forschungen schüren Zweifel, ob ein Testosteronmangel, vor allem wenn er sich erst im Alter manifestiert, tatsächlich so gefährlich werden kann, wie ihn einige Interessengruppen gern darstellen. Wie auf Anfrage unserer Zeitung der Mediziner und Medizinhistoriker Professor Gundolf Keil aus Würzburg darlegte, wurde für die von ihm herausgegebenen "Würzburger medizinhistorischen Mitteilungen" kürzlich eine Arbeit von Professor Christian von Deuster, HNO-Klinik der Universität Würzburg, eingereicht. In dieser Arbeit, deren Veröffentlichung 2005 in Band 24 des genannten Mediums vorgesehen ist, hat Deuster zahlreiche Lebensläufe berühmter Sängerkastraten aus medizinischer Perspektive analysiert. Dabei fand er nach Aussage von Keil keine Hinweise auf ein erhöhtes Morbiditäts- oder Mortalitätsrisiko, insbesondere auch keine osteoporotischen Stigmata.
                                                                                                               wst

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