Werner Stingl
Berliner Straße 16
85221 Dachau

Umsatzsteuer-ID: DE127681301

Fon 08131-279000
Fax 08131-279007

RedWesti@aol.com

Birgit Matejka Werner Stingl Ralf Schlenger Dr. Ina Schicker Dr. Ulrich Scharmer

Ein Herz vom Schwein

Xenotransplantation zwischen Chance und Risiko

Professor Bruno Reichart, ehemaliger Direktor der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik der LMU-München, geht davon aus, dass innerhalb der nächsten acht Jahre klinische Studien mit Schweineherzen im Menschen gestartet werden. Sind solche Xenotransplantationen ein praktikabler Ausweg aus der derzeitigen Organmangelsituation? Oder öffnet man damit womöglich eine Büchse der Pandora und bringt neue Krankheiten über die Menschheit?

Die Idee, mit Tierorganen Engpässe in der Transplantationsmedizin zu überwinden, reicht in der Kardiologie zurück ins Jahr 1964. Damals verpflanzte James Hardy vom Mississippi Medical Center in Jackson, USA, einem an Herzinsuffizienz sterbenden Menschen das Herz eines Schimpansen, das allerdings nur knapp zwei Stunden schlug, erinnerte Reichart als Sprecher der „Transregio Forschergruppe Xenotransplantation“ auf einer Veranstaltung des Centers for Advanced Studies (CAS)LMU der Ludwig-Maximilians-Universität München Anfang Februar diesen Jahres. In der Folgezeit wurden zumindest im Tierversuch die Transplantationsergebnisse zwischen eng verwandten Arten (konkordante Xenotransplantation) immer besser. Und nachdem in den achtziger Jahren Paviane mit Herzen grüner Meerkatzen unter konventioneller Immunsuppression 70 und mehr Tage überlebten, schien die Zeit reif für erfolgversprechende Studien am Menschen. Letztendlich wurde dieser Weg dann aber aus mehreren Gründen doch nicht eingeschlagen: Pavianherzen waren zu klein, um das Blut eines Erwachsenen zufriedenstellend durch dessen Kreislauf zu pumpen. Gegen die Verwendung großer Menschenaffen als menschliche Ersatzteillager sprachen deren langer Reproduktionszyklus und zunehmende ethische Widerstände. Zudem gewann die Überzeugung an Gewicht, dass eine enge Artverwandtschaft zwischen Organempfänger und Spender zwar ein immunologischer Kompatibilitätsvorteil ist, im Hinblick auf das Zoonosen-Risiko aber eher nachteilig sein könnte. Äffische Viren und Mikroben haben eine weit ausgeprägtere Affinität zum Menschen als infektiöse Agenzien von entwicklungsgeschichtlich entfernteren Säugetieren.

Vom Affen zum transgenen Schwein

Inzwischen hat die Xenotransplantationsforschung das Schwein zum Spenderkandidaten Nummer Eins für den Menschen qualifiziert. Das ausgewachsene Schweineherz ist dem Kreislauf eines erwachsenen Menschen angemessen. Die vermehrungsfreudigen Tiere reifen schnell zur erforderlichen Zielgröße. Tierschutzrechtliche Bedenken gegen Schweine als Organspender spielen angesichts von jährlich 50 Millionen allein in Deutschland zum Verzehr geschlachteten Exemplaren eine untergeordnete Rolle, so Reichart.

Ein großer Nachteil des Schweins gegenüber Primaten ist allerdings, dass die immunologische Gewebekompatibilität mit dem evolutionären Verwandtschaftsgrad abnimmt. Wie man auch im gängigen Tiermodell „Schweineherz im Pavian“ nachvollzogen hat, würde das Herz eines normalen Schweines im Menschen trotz optimierter Immunsuppression infolge der hoch unterschiedlichen Eiweißmuster beider Spezies innerhalb von Minuten durch hyperakute Abstoßungsreaktionen funktionsuntüchtig werden. 

Inzwischen ist es jedoch mit Hilfe der Gentechnik gelungen, Schweine so zu „humanisieren“, dass ihr Gewebe immer weniger Angriffspunkte für das menschliche Immunsystem bietet. Zusätzliche Genmanipulationen zielten darauf ab, dass im Gewebe der transgenen Schweine menschliche Komplementregulationsfaktoren exprimiert werden, die Attacken des Empfängerorganismus selektiv abschwächen. Gleichzeitig wird immer erfolgreicher daran gearbeitet, schon Wochen bis Monate vor einer planbaren Xenotransplantation im Empfänger gezielt eine Immuntoleranz gegenüber dem Spenderorgan zu induzieren. Dank dieser kombinierten Strategien überleben Schweineherzen unter einer üblichen Immunsuppression inzwischen schon mehrere Monate in Pavianen und es ist absehbar, bis die diskordante Xenotransplantation das Tiermodell verlassen und erste klinische Studien beschreiten wird.

Startrampe für neue Zoonosen?

Reichart fokussierte in seinem Münchener Vortrag eher die Chancen der Xenotransplantation und ging wenig auf damit womöglich verbundenen Risiken ein. Intervention Lab hakte deshalb diesbezüglich bei Dr. Joachim Denner, Virologe am Robert-Koch-Institut in Berlin und Sprecher der Projektgruppe „Neuartige Erreger“, nach.

Der Mensch ist für viele infektiöse Schweinekrankheiten wie z.B. die Schweinepest nicht empfänglich. Könnte sich das ändern, wenn er vitales Schweinegewebe in sich trägt und damit beispielsweise Schweineviren Andockstellen bietet, die er sonst gar nicht hätte? Denners Antwort: Theoretisch durchaus vorstellbar, wenngleich empirische Hinweise dafür bislang fehlen. Zukünftige Xenotransplantationskandidaten müssten aber diesbezüglich engmaschig kontrolliert werden und es wäre auch zu überlegen, inwieweit mit spezifischen der Veterinärmedizin entlehnten Impfungen einem solchen Risiko vorgebeugt werden kann und soll.

Die Gefahr, durch Schweineorgane porcine Infektionen auf den Menschen zu übertragen, schätzte Denner insgesamt als eher gering ein. Der Mensch lebt ja seit vielen Jahrtausenden eng mit Schweinen zusammen und bislang ist in historischer Zeit nicht viel Dramatisches an Zoonosen passiert. Unser Immunsystem ist also offensichtlich gut für den Kontakt mit Schweinen und deren mikrobiologischer beziehungsweise virologischer Ausstattung gerüstet. Dennoch ist es was anderes, wenn potenzielle Krankheitserreger nicht über evolutionär trainierte Schienen sondern im Schutz eines lebend verpflanzten Tierorgans den Weg in den menschlichen Organismus fänden, räumte Denner ein; und das auch noch unter immunsupprimierten Bedingungen. Dabei könnte nicht nur der Transplantatempfänger gefährdet werden. Denn wenn es im Tierorgan geborgen residierenden Krankheitserregern gelänge, sich von dort aus an den menschlichen Organismus zu adaptieren, wäre die Entstehung neuer Zoonosen denkbar, die dann eine allgemeine Gefahr werden könnten. Ein solches Risiko ist aber bislang wieder nur ein theoretisches und ein entsprechender Artensprung wäre auch konventionell vorstellbar.

Dennoch muss selbstverständlich alles getan werden, um die Übertragung potenzieller Krankheitserreger durch Xenotransplantate weitestgehend auszuschließen. Dazu gehören unter anderem möglichst sterile Aufzuchtbedingungen und engmaschige veterinärmedizinische Kontrollen zur Minimierung des infektiösen Potenzials zukünftiger Spenderschweine.

Vollkommen virusfreie Schweine gibt es (noch) nicht

Völlig virusfreie Xenotransplantate vom Schwein sind momentan aber noch Illusion. Denn alle Schweine dieser Welt sind mit verschiedenen so genannten porcinen endogenen Retroviren (PERVs) behaftet, die sich im Verlauf der Evolution dauerhaft in ihrem Genom eingenistet haben und die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Zwar gelten die meisten PERVs als harmlos und unfähig zur Replikation. In vitro waren jedoch einige Typen in der Lage, menschliche Zellen zu infizieren. Bislang ist allerdings kein Nachweis gelungen, dass sie das auch in vivo können, sagte Denner. So sind in der Literatur rund 200 Patienten dokumentiert, die bereits vitale Zellen oder Gewebeteile von Schweinen implantiert bekommen haben und bei denen keine Hinweise auf eine PERV-Infektion im Körper gefunden wurde. Und auch gezielte Injektionen großer PERV-Mengen beziehungsweise die Übertragung von Schweinezellen und –organen in Affen lieferten keinen Hinweis, dass sich PERVs in vivo in fremden Organismen ausbreiten. Wie sich die Sache allerdings verhält, wenn PERV-belastete Organe Monate und Jahre in einem neuen Körper verweilen, ist derzeit aber noch ebenso wenig zu beantworten, wie die Frage, welche Folgen denn eine PERV-Infektion menschlicher Zellen für den Betroffenen, seine Nachfahren oder seine Umwelt hätte. Es gibt also noch einiges zu klären, bevor Schweineherzen und andere Tierorgane guten Gewissens dauerhaft in den Menschen gebracht werden können.
                                                  

                                                                                                  W. Stingl

Weitere Textproben:


mehr »